Die Seite für Toleranz

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Als Diskussionsbeitrag zum Thema (Nicht-) Rauchen ein Zitat von M. Lütz aus der "Welt am Sonntag" vom 1. Juli 2007 (Hervorhebungen von mir):
>> Hauptsache gesund! Dieser Ausruf genießt von der Wiege bis fast zur Bahre Kultstatus. Doch ist er naiver oder zynischer Unsinn. Es gibt gesunde Schwachköpfe, die lustlos durch ihr Leben stolpern – und Menschen mit Krankheiten und Behinderungen sind nicht selten Lebenskünstler mit praller Lust am Dasein. Außerdem hat noch niemand sagen können, was eigentlich Gesundheit sei. Gesund sei ein Mensch, der nicht ausreichend untersucht wurde, unkte ein renommierter Internist. Niemals jedenfalls hat die Philosophie der Gesundheit den Rang eines höchsten Gutes beigemessen.

Heute ist alles anders. Wir leben in der Epoche der Gesundheitsreligion. Alle Riten der Altreligionen sind inzwischen ins Gesundheitswesen übergegangen: Halbgötter in Weiß, Wallfahrten zum ultimativen Experten, Krankenhäuser als die neuen Kathedralen, die ein „Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit” erzeugen, das nach Friedrich Schleiermacher Religion charakterisiert. Es vollzieht sich der bruchlose Übergang von der katholischen Prozessionstradition in die Chefarztvisite.
Diätbewegungen gehen wie wellenförmige Massenbewegungen übers Land, in ihrer Strenge die Büßer- und Geißlerbewegungen des Mittelalters übertreffend. Unbewusst, aber umso machtvoller richtet sich die religiöse Ursehnsucht der Menschen nach ewigem Leben und ewiger Glückseligkeit heute auf Medizin und Psychotherapie.

Woran liegt das? Dem modernen Menschen ist seine Lebenszeit drastisch zusammengeschmolzen. Während der Mensch im Mittelalter seine Lebenszeit in dieser Welt plus das ewige Leben vor sich hatte, sind solche religiösen Vorstellungen den westlichen Gesellschaften inzwischen weitgehend abhandengekommen. Nicht etwa durch eine glänzende intellektuelle Attacke oder durch eine überzeugende Alternative sind Gott und ewiges Leben ins Abseits geraten. Sie sind einfach irgendwie nicht mehr angesagt.

Das Ergebnis aber ist, dass dem Menschen von heute unendlich weniger Lebenszeit übrig bleibt: sein begrenztes Leben auf dieser Welt. Doch je mehr man das merkt, desto mehr bricht Nervosität aus im Wartesaal des Todes. Man munkelt, dass alle sterben werden an der Vogelgrippe, an Aids, am Rinderwahn, am Leben, und dass kein Zug mehr fährt, nicht einmal nach Nirgendwo. Mit dem ewigen Leben rechnet zwar kaum einer noch, aber wenigstens sterben möchte man nicht.

Ein utopischer und zugleich vager Gesundheitsbegriff, dem von Todesangst aufgepeitschte religiöse Verehrung zuteil wird, ist ökonomisch interessant. Für das „höchste Gut” ist man bereit, alles zu geben. Und wenn man diese utopische „Gesundheit” niemals wirklich erreichen kann, dann umso besser. [...]
So steigen die Gesundheitskosten ungebremst und alle vier Jahre gibt es eine „Jahrhundertreform”. Doch an den Kern des Problems wagt sich niemand: Die völlig absurde pseudoreligiöse Aufladung des Gesundheitsbegriffs.

Zwar ist daher die Gesundheitsreligion die mächtigste und teuerste Weltreligion aller Zeiten, doch bringt sie dem Menschen nicht Glück, sondern Unglück. Die unbändige Hoffnung auf ewiges Leben scheitert zuletzt trotz aller Bemühungen kläglich. Einsam und untröstlich stirbt der Gesundheitsgläubige. Denn der Tod wird zu Lebzeiten nicht zur Kenntnis genommen. Er ist der Feind der Gesundheitsgesellschaft.

Die Gesundheitsreligion ist radikal egoistisch, mit ihr ist kein Staat zu machen. Während Judentum, Christentum und Islam sich immer auch sozial engagierten, interessiert sich der Gesundheitsgläubige nur für seine Prognose und seine Zukunft. Das macht die Auseinandersetzungen in der Gesundheitspolitik oft so hart und herzlos. [...]

Dr. Manfred Lütz ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Theologe. 2006 erschien sein Buch „Lebenslust- über Risiken und Nebenwirkungen des Gesundheitswahns” <<

Übertragen auf die FANATISCHE "NICHTRAUCHERDISKUSSION" ist dem nichts mehr hinzuzufügen.

Dr. Manfred Lütz ist (toleranter) Nichtraucher, aus Überzeugung.

Das Buch "Lebenslust" ist übrigens FANTASTISCH!